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Wenn das Medium die Botschaft ist, dann erwartet uns eine Zukunft grau in grau. Hoffnung wird da in Pillenform verabreicht werden, Erinnerung tröpfchenweise. Und Musik als USB-Stick. ERIK MÄLZNER lässt in einer persönlichen Reminiszenz 'Die Kurve kratzen' alle Speichermedien Revue passieren, die die Hörgewohnheiten in der zweiten Hälfte des 20. Jhdts. bestimmten: Schellack- und Vinylscheiben, Tonband- und Kassettenspulen, DAT, CD und CD-R. Die bald ganz abgelöst sein werden von MP3-Daten auf einem Universal Serial Bus. In diesem Format erscheint 3LPs ( NO EDITION #79). Der paradoxe Titel transportiert, portioniert in 6 'LP'-Seiten, ein zweistündiges Etwas, teils Sonic Fiction, größeren Teils Trauerarbeit. Zwar gibt es da Computersounds und Computerstimmen, Samples und Percussion. Aber die Zukunftsaussichten sind trüb. Eine männliche Computerstimme raunt, als wäre die Batterie fast leer. Und die feminine spricht so fleischlos wie die Durchsagen auf einem lange nicht benutzten Weltraumbahnhof und so emotionslos wie die Diagnosen eines Medizinroboters. Die Tristesse rührt her von einem Cut-up-Text, aus dem sich ein dystopisches Szenario zusammensetzt - ein Komet als Wurfgeschoss aus 47 Milliarden Lichtjahren Entfernung, Klinikroutine, Nebel und Eiseskälte, die Insekten und Krähen zuträglicher sind als Frauen mit glänzendem nacktem Oberkörper. Oder sind das schon Replikanten? Hubots? Mälzner malt mit der wohl suggestivsten Computermusik, die hierzulande hergestellt wird, aus grauen Farbtönen eine Symphonie, die sich nicht in den Space als offenem, lockendem Raum hinaus sehnt. Sondern als das kalte und graue Meer einer unendlichen Odyssee erscheint. Mit Raumfahrern, die, angeknurrt von Leones, mit einem Alas, poor Rosebud über Familienfotos und schwindende Erinnerungen brüten, an Kuscheltiere, eine sorgsam gepflegte Schallplattensammlung, Habseligkeiten. Wobei diese Erinnerung mit somnambuler Frauenstimme spricht. Erinnert wird auch Orchestermusik mit dunklen Adagiobläsern. Aber auch skurrile 'Weltraum'-Klänge aus den naiven Jahren des Aufbruchs zu den Sternen. Beides liegt jedoch im Widerstreit mit perkussiver Unruhe, hintergründigem Stimmengewirr und der eigenen Lethargie. Der Auftrag, Kultur zu bewahren, ist als Lexikonartikel einem Computerhirn übertragen. Und sogar der Seufzer, dass das Leben zu kurz sei, ist einer Maschine in den Mund gelegt. Wenn ich Mälzners Musik mit Conrad Schnitzler, Dieter Feichtner, Mike Fazio oder Leyland Kirby vergleiche, dann nur, um seinen Sonderweg zu unterstreichen, seine einzigartige Melancholie im gradualen Duktus von Gitarre und Perkussion und von Keyboards, in denen manchmal ein Spintett, die kaputten Veteranen von Ross Bolleter oder eine knarrende Orgel anklingen. Die finalen 20 Min. sind jedenfalls, wenn da noch eine Morricone-Mundharmonika und sogar eine Zapfenstreichtrompete hinzu kommen, an Elegie nicht zu überbieten. Umso bizarrer wirkt dazu ein Fachidiotentext über Musterfolgen und Steuerparameter.
rbd BAD ALCHEMY # 83, Germany
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Stimmen des Zwanzigsten Jahrhunderts
Auf Wiederhören: den Komponisten Erik Mälzner
Zuerst fährt es dir in die Glieder. Noch hält es sich im Hintergrund. Bedroht dich. Stellt dich zur Rede. Wenn du denkst, dass es nachlässt, wird es schlimmer. Das Rheingold, ausgebuddelt nach ´45: abgeblättert, schrundig, halbversunken in irgendeinem Uferschlamm. Vielleicht hätte Anselm Kiefer so komponiert, wenn er kein Maler geworden wäre. Vielleicht geht es auch um etwas ganz anderes. Oder um nichts. Reine Immanenz, Selbstreferentialität. – Nachkriegsdeutschland, gefühlskalter Wiederaufbau, so trostlos wie möglich, aber auf abgründige Weise faszinierend, könnte so klingen, wenn man´s in Töne setzte. Avantgarde? Der Begriff hört sich heute so nostalgisch an wie Daunenbettwäsche oder Veilchenlikör. Trotzdem, diese Musik, diese Ur-Musik, Vor-Musik, Nach-Musik, plötzlich wieder gehört und zum ersten Mal, appelliert an den Geist: Sei wach! Gib dich nicht zufrieden! Halte das aus!
Es ist Traummusik, einer Traumlogik folgend, ohne jede Chance im eben noch schmerzfreien Augenblick aufzuwachen. Du weißt nicht: Kennst du das oder ist es dir fremd? Dieses Wabern, Raunen, Zischen, dazwischen Stimmen, Wortfetzen, Erinnerungsgedanken, aus einem Strudel aufsteigend, worin Angst und Hoffnung kreisen wie ertrunkene Krähen, hast du das nicht schon einmal gehört? Ganz früher, bevor du wusstest, was Hören ist? – Beim Anhören der akustischen Collagen von Erik Mälzner passiert etwas selten Gewordenes: Man wird konfrontiert. Es ist nicht möglich, sich dieser Konfrontation zu entziehen – auch wenn man zunächst nicht einmal ahnt, womit das erreicht wird. Was einem mitgeteilt werden soll. Welche Bilder hinter dem Spiegel lauern.
Dass der 1951 Geborene aus der Zauberspruchstadt Merseburg stammt, man möchte sich weigern, das als Zufall zu begreifen. Zitate, Textschnipsel, zerhackt, ineinander gemanscht nach einem plastischen Prinzip, verarbeitet, neu zusammengesetzt im Sinne einer aktivierenden Verweigerungshaltung – das, meine Freunde, ist die Moderne: ungemildert, unverkitscht, auf dem Höchststand der musikalischen Reflektion. Im Gegensatz zu so vielen, die zwölftonal unter dem Nachkriegsdiktat der Darmstädter Musiktage verschwanden, evoziert Mälzner mit seiner Art zu komponieren mehr als intellektuelle Spielerei. Es geht – man erschauere – tatsächlich (auch) um Gefühl. Und selten um ein herzerwärmendes.
„In einer romantischen Landschaft“, „Disconcert“, „Paradigmenwechsel ...“ Die bei (sic!) no edition erschienenen Musikstücke heißen nicht nur so spröde, sie sind es auch – bis zu einem gewissen Grade. Wer sich aber die Mühe macht, länger hinzuhören, dem entbreiten sich Erfahrungsräume, die zu betreten die neue Konsonanz längst zu faul geworden ist. Hier ist alles möglich. Es tut weh. Es lässt dich nicht mehr in Frieden. Aber es haucht dir auch ins Ohr, zuerst undeutlich, raunend, zag, dann rasch näherkommend: Du bist da ... Du könntest etwas sein ... tun ... jetzt gleich.
Johannes Hucke, Karlsruhe
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