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Es gibt nicht viele, die eine so konsequente Werkreihe vorweisen können wie ERIK MÄLZNER. Mit der Konsistenz eines Asmus Tietchens oder Conrad Schnitzler, mit dem kreativen Output, der Hartnäckigkeit und der Sophistication eines Frank Rothkamm, bei ureigener Handschrift. Mit seinem markant grauen Corporate Design und einem ganz eigenen literarischen Extra, dessen Machart ich bis heute nicht durchschaut habe - Cut-up? Zitat? Montage? Jedenfalls Texte von irritierender Suggestivität, zumal sie Sprechautomaten oder knorrigen "Baumhirten" in den Mund gelegt sind. Als ein V-Effekt, der durchaus Sarkasmus oder Melancholie mitliefert, trotz einer doppelten Distanzierung, als künstlich oder merkwürdig und durch die nüchterne oder gestelzte Fachsprachlicheit von Gebrauchsanweisungen, Lexikonartikeln, des Jargons von Psychologen, Soziologen, Kunstkritikern. Als ein - 1, 2, 3, 4 Eckstein, alles muß versteckt sein - facettenreiches Maskenspiel, das in poetischem Eigensinn Lebensansichten formuliert. Warum wohl sind Tränen, Humor und Nostalgie, an Bauchrednerpuppen, Replikanten oder KIs delegiert, ein so 'menschliches' Motiv, nicht erst des Futurum II? DA UND DORT UND IRGENDWO / HISTORISCHE ORTE (NO EDITION # 121, DL/USB) bringt Erinnerungen an eine Berliner Kindheit um Neunzehnhundertixundfünfzig - Schauplätze: Planufer, Tegeler Weg, Yorck-, Tauroggener-, Obentrautstraße. Individuelle Déjà-vus und zugleich die einer ganzen Generation, die Hula-Hoop , Tipp-Kick und mit Pfennigen gespielt, die Fix und Foxi gelesen hat. Die mit dem Opa im Zirkus die Clowns bestaunte, einen Rollmops spendiert bekam, die Nasen an Hertie-Schaufenstern platt drückte, scharf auf ein Äffchenorchester. Mit Anzeichen früher Verweigerung beim Mundaufmachen, beim Zahnarzt, beim Bäcker (wo's Amerikaner gab). Mit Mühe beim Schwimmenlernen, einer heimlichen Spielzeugarmee, dem Geschmack von Lakritz im Mund (wird aus Pferdeblut gemacht). Kinder, die zwischen Hinterhof, Pilzwald und Ostseeferien was "aus Daffke" taten, die im Amt Paternoster und im Kaufhaus Rolltreppe fuhren. Kleine Benjamins nach dem Krieg, die einzige Tote eine in Stein gehauene schöne Leich im Schlossgarten, dennoch unheimlich und / unvergessen. Nun als Mitfahrgelegenheit auf eine Zeitreise, mit dunklem Intro, den elegischen Klängen von Midi-Keyboard, Computer, Percussion und Samples, die 'Berlin' und Kindsein, Kino oder Ostseemöven herbeizitieren. Zu gruftigen Bassnoten beginnt ein Männerchor zu summen, aus dem ein Knabensopran aufscheint - Totenmesse, Trauerflor. Bis zu metalloid und steinig perkussivem Rumoren und schleppenden, torkelnden Keys eine Altmännerstimme gedehnt zu raunen anhebt. Ein Sprechgesang in gar nicht unkomischer Artikulation, vom 'River Kwai Marsch' auf 1958 datiert. Auch der Zombie-Groove von "Großbeeren" und "Tauroggener" als wirbelnder Marionettenmarsch haben in meinen Ohren was Tragikomisches. Die instrumentalen Intermezzi zwischen den Erinnerungsbildern heben das, trotz ihres zähflüssigen Duktus und der bassdunklen, wehmütigen Tonlage, nicht auf. Nein, das "Guck mal" der so bewusst grotesk, ja launig besungenen und mit wenigen, aber effektvollen Mitteln extraordinär und sogar - die Affenkapelle! - illustrativ orchestrierten oder zum Seufzen fragilen Bilder verneint einen bloß grauen Nenner. Kunstvoll, verspielt und selbstironisch genug, dem Larghissimo und Grave eine Narrenschelle anzuhängen.
rbd BAD ALCHEMY # 104, Germany
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