home  
            e-mail  
        cd   links  
          see also    
             
          reviews    

  review LINKS    

  rbd BAD ALCHEMY # 84        
     
         
   
 

 

Der Seltsamkeit nicht genug, verführt einen ERIK MÄLZNER mit LINKS (NO EDITION # 84) zu Spielen, bei denen Schminke und Vibratoren zum Spielzeug und zum Spiel gehören, aber auch viele, viele Pflastersteine sowie ein Belgischer Brocken als Schleifstein. Eine Frauen- und eine Männerstimme führen zwischen den Berechnungen 15873 x 7, x 14, x 21 abwechselnd durch Fragmente aus einem permanenten Gedankenkontinuum. Die Texte sind ernster Natur, sachlich wie Gebrauchsanweisungen zu Abdeckungsnetzen oder einem Bolzenschussgerät oder Informationen über Massage, Albträume, Möbelstücke und Holzschuhe. Doch wirken sie wie von einem Computergehirn ausgewählt, das Textarten nicht wirklich sicher zu unterscheiden weiß und daher Texte aneinander fügt, die sich gegenüberstehen wie Clowns und Polizisten und sich gegenseitig paralysieren. Dazu passen die wieder träumerischen Unter- und Übermalungen mit Synthiebass, händischakustischer ebenso wie elektronischer Percussion, insbesondere auch wieder Vibraphon, sowie glissandierenden, gekratzten und gepflückten E-Gitarrensounds. Die verlangsamten oder sogar mal rückwärts rutschenden Klänge harmonieren auf stimmige Weise mit der irritierenden Lethargie insbesondere der Sprecherin. Die aber mit der vernünftigen Mahnung hört / seht und denkt / denn morgen sind wir tot überrascht. Das Spiel der Gedanken und der Klänge führt so langsam wie unaufhaltsam hin zum Entweder-Oder von "Die Gedanken sind frei" oder "Schlaf Kindchen schlaf". Als ein Marsch wie in Ketten, aber zu Tambour- und Kochtopfgetrommel, zu Elektrogeknatter und zur Parole: Viele, viele Pflastersteine. Doch auch das Schlafliedchen lässt sich mal so, mal so hören. Als Trost in Zeiten des Krieges, der Vertreibung. Oder als spöttisch-resignatives Sticheln gegen die grassierende Schlafmützenmentalität und faulen Ausreden: Was kann ich armes Kind dafür. Denken macht aua, lassen wir's lieber bei Träumelein. Wenn es nach mir ginge, hätte Mälzner schon mehr als einmal den Karl-Sczuka-Preis bekommen. Als das Mindeste an anerkennendem Staunen, das seine spezifische Wort/Klang- und Denk/Spiel-Ästhetik verdient. Wobei diesem Lebenswerk, das sich da, wenn man die 34 mit Museum für Völkerkunde überschriebenen Tonbänder aus der Vorgeschichte dazu nimmt, seit 1975 entfaltet, kein Gütesiegel etwas geben oder etwas nehmen kann. Apropos #84. Ein langer Weg von Mütternacht bis hierher, Ritter Erik. Oder darf ich Bruder Erik sagen?

 

Ich stoße beim Scrollen im No-Edition-Katalog auf den Protagonisten von O.T. Trilogie 1/3 (2005), dem, dämmernd im Pflegeheim, doch die Stimme seiner persönlichen Sirene nicht aus dem Kopf geht, seit er sie als Sechsjähriger gehört hat. Von ihm heißt es: Er sammelt Schallplatten von Sängerinnen die ihr ähneln. Zum Beispiel von: Dagmar Krause, Hermine, Marianne Faithfull, Marta Sebestyen, Nico, Meret Becker. Es sind nicht die Lieder, die sie singen, erst recht nicht die Texte, die ihn faszinieren. Es ist die Vortragsweise einzelner Worte, einzelner Silben. Die Art und Weise Pausen zu setzen. Das Einatmen. Das Ausatmen. So einen Mitbruder und Leidensgenossen muss man nicht bedauern.

Wo wir gerade bei Dagmar Krause sind, von der Mälzner sagt: Dagmar war und ist eigentlich immer toll. Das behaupten er und ich auch noch, wenn wir den Mitschnitt von Die Irrfahrten des Odysseus hören aus der Stadthalle in Mülheim/Ruhr, entstanden anlässlich der Uraufführung von Werner Nekes Uliisses 1983, mit Krause, Anthony Moore und - festhalten - Helge Schneider! Nun, Moore und Schneider haben den Soundtrack für Uliisses gemacht, und Nekes mit Schneider 1986 dann noch Johnny Flash, und in Mülheim/Ruhr leben tut er auch. So what? Ich mag es, wenn derart unvermutet Fäden zusammengezogen werden. Ich mag es, wenn Meret Becker in Klassik-Pop-et cetera Crimsons 'Moonchild' und 'Still Smiling' von Bargeld & Teardo auflegen lässt und das Ganze mit 'Unanswered Question' krönt. Solche Verknüpfungen machen die Welt und das wunschlose Unglück darin nicht kleiner, nicht größer und auch nicht besser. Aber es fühlt sich verdammt gut an.

rbd BAD ALCHEMY # 84, Germany

index