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NO EDITION ist ERIK MÄLZNER und Mälzner ist, ich wiederhole mich da gern, ein
Klangerzeuger von absolut eigenartiger, ja sogar einzigartiger Couleur. Seitdem er
sich von Mülheim a. d. Ruhr aufs Altenteil nach Alpen-Veen zurückgezogen hat - das
liegt zwischen Xanten und Moers - , hat er seinen Output noch gesteigert, ohne an
Erstaunlichkeit einzubüßen.
Bei
Unter Staub und Schutt (NO EDITION # 85) mischt er unter dem Motto "Was wollen wir machen / auf dem Kopf stehen und lachen" Sprüche, wie sie auf den Schulhöfen der 1950/60er Jahre gang und gäbe waren, mit Schlagern jener Zeit. Wer heute 60 oder 70 ist, sinkt bei "Was ist los / alles was nicht angebunden ist" oder "Du bist so dumm / daß du brummst" mit dem Fahrstuhl in die Vergangenheit, wenn dann noch Gus Backus, Ivo Robic, Lolita, Lys Assia und Dalida auf "Abwärts" drücken. Neben dem Griff ins 'Volksvermögen' (wie Rühmkorf das genannt hat) und zum Volkstümlichen, das erst allmählich Pop genannt wurde, wartet Mälzner aber auch wieder mit hochgestochenem Soziologen- und Musikologenjargon auf. Er legt Sätze wie "Die Neigung eines Hits bei der Wiederverarbeitung zu degradieren / hängt vom gewählten Aufbereitungsverfahren ab etc." einem Sprachautomaten mit dem
schläfrigen Sexappeal einer Eva der Zukunft in den Mund, der auch "sensorische Deprivation" und "kulturelle Transformation" von den Lippen kommen, ohne rot zu werden. Nachdem die letzten Salven im Mai 45 verklungen sind, keimt aus Schutt und Asche die Sehnsucht nach Blumen ('Where have all the flowers gone'), nach Kitsch, nach 'Morgen'. Morgen Morgen, Morgen Morgen / Sind wir wieder dabei / gestern gestern gestern gestern / ist uns heut einerlei... Tja, 'Mit 17 fängt das Leben erst an'. Drummachine, Percussion, Synthesizer, E-Gitarre, krachige Schübe, schnarrende Bohrer und Schutträumgeräusche und die Art, wie Mälzner das montiert, sprechen eine vielsagende Sprache. Wer in den 50er Jahren Tritt fasst, beherrscht bald wieder den 'Kriminaltango', auch wenn 'O mein Papa' seine in Europa verstreuten Knochen nicht mehr sortiert bekommt oder noch in Sibirien friert Und wenn das Schicksal es will, sehen wir uns wieder. Die Ohren öffnen sich wieder für Vogelgezwitscher und Jahrmarktsmusik, für neue Namen wie 'Charly Brown' oder 'Tom Dooley' und manche sogar für seltsame elektronische Experimente. Statt dass den dunklen Gestalten die Stunde geschlagen hätte, klingen Glocken, die nicht von Leid und Einsamkeit, sondern von Liebe singen. Aber ist das jetzt der "Abbau der Sentimentalitäten"? Wenn Mälzner "Schöne Tage der Kindheit / Lang ist's her, unendlich lang" und "Abschied nehmen / Ist das schwerste im Leben" mit "Muß i denn zum Städtele hinaus" überblendet, ist das süffisant, spöttisch? Oder schon wieder altersmürbe gerührt? ("Es kommt hierbei auf die Qualität und Sortenreinheit der gesammelten Altteile und den Aufbereitungsprozeß und die Nachadditivierung an.") Nostalgie? Vergangenheitsbewältigung? Kunst? Ohne Humor im Kopfstand geht da nichts.
rbd BAD ALCHEMY # 85, Germany
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